Ich arbeitete noch nicht lange in der Notaufnahme, und als ich mir die Unterlagen der nächsten Patientin ansah, berichtete mir die Schwester an der Kanzel von Frau M., eine Patientin mit fortgeschrittener äthyltoxischer Leberzirrhose, die regelmäßig circa alle 14 Tage in der Ambulanz vorstellig wurde, zur Entlastungspunktion ihres nachlaufenden Aszites, bis zur endgültigen Anlage einer dauerhaften Drainage-Lösung. Als ich ins Behandlungszimmer eintrat erblickte ich eine circa 50 jährige, schlanke weiße Patienten im Rollstuhl, die von ihren Erkrankungen sichtlich gezeichnet war.
Ich stellte mich vor und half ihr auf die Liege. Im Anamnesegespräch berichtete sie von der erneuten Zunahme ihres Bauchumfangs in den letzten zwei Wochen. Sie war aufgeregt und hatte sichtlich Angst vor der Punktion. Nach einer körperlichen Untersuchung und Dokumentation, führte ich eine Abdomensonographie durch, hier ließ sich in allen vier Quadranten reichlich Aszites darstellen. Nebenbefundlich erblickte ich eine Porzellangallenblase, ich hatte nie zuvor im „echten Leben“ einen solchen Befund gesehen, und freute mich über meine „Entdeckung.“ Weil ich bisher noch nie alleine eine Aszites Punktion durchgeführt hatte, erzählte ich Frau M., dass ich mir nun einen erfahrenen Kollegen zu Hilfe holen würde, der mich bei der Punktion begleiten und unterstützen würde. An diesem Tag hatte ich mit Doktor H. Dienst in der ZNA. Er war ein erfahrener Internist, ursprünglich aus Nigeria, lebte er nun schon seit vielen Jahren mit seiner Familie in Deutschland.
Wir betraten das Behandlungszimmer und die Patientin blickte Dr. H., und dann mich an und fragte entgeistert „ kann der denn überhaupt deutsch?“ Der Tonfall dabei geringschätzig, ihm keines Blickes würdigend, und den Blick geradeaus auf mich gerichtet. Diese Frage fühlte sich an wie ein Schlag in meine Magengrube. Ich bin mir meiner Privilegien bewusst, als light-skinned Schwarze Ärztin, die zudem Muttersprachlerin ist. Und hier konnte ich es wieder hautnah erleben. Während die Patientin mich noch als ihre behandelnde Ärztin akzeptierte, afrodeutsch, ohne Akzent der deutschen Sprache mächtig, sah sie in meinem dark-skinned Kollegen eine Person, die Ihrer Ansicht nach nicht die nötigen Qualifikationen besitzt. Ich spürte wie die Wut in mir hochkroch, einerseits war es mir wichtig einen guten Kontakt zur Patientin herzustellen, ich sah es als meine Aufgabe an, dafür zu sorgen, dass sie sich sicher fühlte, hier war jedoch eine Grenze überschritten worden. Schroff erwiderte ich: „ Wenn Sie schon fragen müssen, dann fragen Sie ihn doch selber.“ Was sie natürlich nicht tat.
Dr. H. ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, routiniert führte er die Sonographie Kontrolle durch, identifizierte eine geeignete Punktionsstelle und führte die Aszites Punktion ohne weitere Komplikationen durch. Als ich ihn später unter vier Augen auf die Situation ansprach, zuckte er mit den Schultern, er sah mich an und meinte, lediglich: „wenn du wüsstest, was ich hier alles erlebe.“ Diese Situation habe ich nicht vergessen können, und wie so viele andere Situation im Krankenhaus, wird mir bewusst, dass die Strukturen und die Überzeugungen, die wir in unserem Leben außerhalb des Krankenhauses vorfinden, auch in den Behandlungs- Zimmern und auf den Stationen die gleichen sind. Wir sind alle Menschen und bringen unsere jeweiligen Haltungen mit. Diese werden nicht an der Pforte abgegeben. Rassistische Haltungen Schwarzen Menschen gegenüber äußern sich auch im Arzt-Patienten-Gespräch oder im Kontakt mit Angehörigen oder mit Kolleginnen.
Frau M. war nicht in der Lage, beim Anblick eines Schwarzen Mannes, in einem weißen Kittel gekleidet, anzuerkennen, dass er der erfahrene Kollege ist, von dem ich sprach, den ich zuvor angekündigt hatte. Vielmehr war sie beim Anblick meines Kollegen sofort davon überzeugt, eine Person vor sich zu haben, die der deutschen Sprache nicht mächtig sein könne. Zwar nicht verbalisiert, aber in ihrer verächtlichen Haltung deutlich kommuniziert, wurde von ihr auch in Frage gestellt, ob er die nötigen Qualifikationen besitzen könne, um sie adäquat zu behandeln.
Etwas später erfuhr ich im Gespräch mit einer Kollegin aus der Pflege, dass es schon einige Male vorgekommen sei, dass Patientinnen in der Notaufnahme es sich nicht nehmen ließen zu sagen: „von dem Schwarzen Arzt möchte ich nicht behandelt werden.“
Das tut weh, zu sehen wie häufig wir verurteilt werden, in eine Kategorie des minderwertigen, des unprofessionellen gepackt werden, bevor wir überhaupt begonnen haben zu sprechen. Von der Krankenschwester, eine junge Frau mit türkischer Migrationsgeschichte, erfuhr ich auch, dass Patientinnen teilweise erst einmal ihre Lebensgeschichte bis hin zu der Frage nach dem Grund der Migration ihrer Eltern nach Deutschland hören mussten, bevor sie mit ihrer eigentlichen Tätigkeit, nämlich der Aufnahme, Blutentnahme, EKG schreiben etc. beginnen konnte.
Unsere Körper, die Körper von Schwarzen und PoCs sind anscheinend für so viele Menschen im Gesundheitssystem noch Fremdkörper, deren Existenz erklärt werden muss. Trotz 25% Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der deutschen Bevölkerung.
Wann werden wir als das gesehen was wir sind? Ärzt*innen, Psycholog*innen, Krankenschwester*, Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen…
Bin dem link gefolgt und habe den berührenden Beitrag gelesen .
Ich verstehe die Kränkung und den Frust, den dieses abwertende Verhalten bei farbigen bzw. fremdländisch aussehenden Krankenhausmitarbeitern auslöst, nur allzu gut.
Gerade diese Personen , die trotz der Anfeindungen und fehlenden Wertschätzung ihre Jobs aufopfernd und sehr kompetent verrichten, haben größten Respekt verdient ! Am liebsten würde ich mich für das oft diskriminierende und beleidigende Verhalten mancher Menschen in unserer ach so feinen Gesellschaft entschuldigen 🙏….. Jedenfalls hoffe ich sehr, dass dieser link oft geteilt wird und sich jeder einmal ernste Gedanken dazu macht, ob es wirklich sein muss, dass viele Menschen, woher immer sie auch stammen und wertvolle Beiträge zum Wohl unserer Gesellschaft leisten, permanent so verletzt werden 😥