Als Schwarze Mutter eines Schwarzen Kindes ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus scheinbar omnipräsent, es gibt keine Lebensbereiche, die davon ausgenommen sind, und so habe ich bereits sehr früh schon angefangen darüber nachzudenken, wie ich mein Kind darauf “ vorbereiten “ kann. Spätestens als meine nun 9 jährige Tochter mich fragte, damals noch 4 jährig und im Kindergarten, warum die Farbe rosa “ Hautfarbe” sei, ich ihr begleitend zu unseren Gesprächen eine Palette Buntstifte schenkte,die ALLE Hautfarben führte, oder als sie nicht mitspielen durfte, da ihre Haut laut einem anderen (weißen ) Kindergartenkind “ zu dunkel” sei, war mir bewusst, dass ich ein aktives Gegengewicht schaffen musste, zu dem was sie in ihrem Alltag erlebte und noch erleben würde. So begann u.a.die Suche nach Medien, folglich auch nach Kinderbüchern, in denen auch Schwarze Kinder die “Heldinnen” sein können, und nicht nur als Nebendarstellerinnen vorkamen.
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus war im Hinterkopf stets der Gedanke, was kann ich ihr in diesem Alter erklären, was “hebe ich auf” für später. Dazu zählte das N-Wort.
Gelegentlich habe ich mich gefragt wann und wie sie das N-Wort kennenlernen würde, in der Schule, oder auf dem Spielplatz? Trotz der Auseinandersetzung damit und dem Bewusstsein, dass dieser Tag kommen würde, trifft es einen doch ziemlich, wenn es dann soweit ist.
Vor einigen Tagen habe ich bei der Durchsicht des neuen Lehrmaterials für die nächste Woche mit Erschrecken festgestellt, dass im Arbeitsheft zu dem Buch “Meine Oma lebt in Afrika“, das N-Wort verwendet wird. Daraufhin nahm ich mir das Buch zur Hand und lass es selber durch, entdeckte bald die Passage mit oben genanntem Ausdruck.
Es war wie ein Schlag in die Magengrube, und unwillkürlich musste ich plötzlich an meine eigene Schulzeit denken. An den Deutschlehrer, der Vorsitzender bei den Republikanern war, oder an die Erdkundelehrerin, die uns BIPoC Kinder anschrie, wir sollten doch dahin zurückkehren, wo wir hingehören. Oder einfach an das Lachen der anderen Kinder, wenn das N-Wort fiel, und keiner etwas dagegen sagte.
Aber das war ja angeblich “früher”, diese Zeiten seien ja schon längst vorbei….
Zunächst einmal denke ich, ist die Selbstlektüre eines Kinderbuches, welches
u.a. das Thema Rassismus bearbeitet, ohne dass dies im Präsenzunterricht vorbereitend besprochen wurde schwierig.
Meine Tochter kannte das N-Wort noch nicht. Als sie anfing, das Buch zu lesen, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl im Bauch, da der Titel meiner Ansicht nach schon vermuten lässt, dass es sich um eine sehr undifferenzierte Darstellung handeln könnte, denn genauso wenig wie wir sagen, “die Reise nach Europa”, wenn es um einen Urlaub geht, sondern konkreter benennen, dass wir beispielsweise nach Deutschland in den Urlaub fliegen, wäre es passender im Falle des Buches von der Reise nach Ghana zu sprechen. Afrika ist groß. Und vielseitig.
Da sie meines Wissens nach das N-Wort noch nicht kannte, ich habe mich in der
Vergangenheit in der Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus und was es für uns als Schwarze Familie in Deutschland bedeutet, oft gefragt, wie ich es ihr wohl erklären würde. Als ich sie darauf ansprach, hatte sie die Textpassage bereits schon gelesen, und es lag nun an uns, das Wort mit ihr zu besprechen und alles was daran gekoppelt ist. Das war für uns sehr belastend und danach sagte sie ganz klar und bestimmt, sie wolle das Buch nicht weiterlesen.
Das konnte ich sehr gut nachvollziehen. Ich finde dieses Thema zu schwierig, um es im Fernunterricht zu behandeln, ohne garantieren zu können, dass es eine adäquate Begleitung hierzu gibt. Für Schwarze Kinder und Kinder of Colour besteht die Gefahr der Verletzung, auch weiße Kinder müssen sich mit Rassismus auseinandersetzen, und ich frage mich, inwieweit sie im Fernunterricht hierbei gut begleitet werden können.
Weiterhin beschäftigt mich auch die Frage sehr, inwieweit im anschließenden Diskurs, beispielsweise im Morgenkreis bei den Zoom Meetings klar ist, das dieses Wort nicht reproduziert wird. Ich möchte meinem Kind diese Situation nicht aussetzen.
Ich denke, dass es in der heutigen Zeit bessere Lektüre geben muß, um sich auf kindgerechte Art und Weise den großen Themen Diversity und Rassismus zu nähern.
Ich wünsche mir, ich wäre vor dem Einsatz dieser Lektüre gewarnt worden.
Das 1994 erschienene Buch gibt neben der Nutzung von rassistischer Sprache ein sehr stereotypes Bild von Afrika wieder
Das anschließende Gespräch mit der Schule verlief positiv. Ich erläuterte meinen Standpunkt. Weiterhin gab ich an, dass meine Tochter das Buch nicht lesen würde. es wurde ihr angeboten, ein anderes Buch ihrer Wahl zu bearbeiten. Das war eine Lösung, die ich so nicht akzeptieren konnte, denn es hätte bedeutet, dass sie an dem Tag, an dem das Kapitel mit dem N-Wort dran kam, nicht am Zoom-Unterricht hätte teilnehmen können, und für die restlichen
Unterrichtseinheiten zur Buchbesprechung, wäre sie das einzige Kind gewesen, dass nicht hätte mitreden können. Ich machte die Lehrerinnen darauf aufmerksam, es wurden Bedenken geäußert, die Lektüre sei schon an alle Kinder verteilt. Im Gespräch mit den anderen Eltern wurde schnell deutlich, dass es keinem aufgefallen war, die Kinder haben die Lektüre ohne Begleitung gelesen, was ja auch für 9 jährige Kinder nichts ungewöhnliches ist. Das bedeutet also, dass keinerlei Einordnung oder kritische Betrachtung des Wortes stattfand beim Lesen. Nach erneuter Überlegung entschuldigten sich die Lehrerinnen für die Wahl des Buches und riefen es zurück.
Es ist mir bewusst, dass ich mit dieser Situation nicht alleine bin, in der Schwarzen Community aber auch von Eltern Schwarzer Kinder höre ich immer wieder “Horrorgeschichten” über den Raum Schule, als ein Ort an dem unsere Kinder prägende Erfahrungen machen mit Rassismus. Dazu gehört auch die Arbeit mit rassistischem Lehrmaterial.
Ich weiß, dass ich es, im Vergleich zu vielen Geschichten, die ich kenne, ja geradezu “gut hatte”, mit meinem Einwand bin ich auf Lehrerinn gestoßen, die bereit waren mir, einer von Rassismus betroffen Person zuzuhören, die nicht sofort in Abwehrreaktionen verfallen sind. Sie waren kritikfähig und haben ihr Verhalten reflektiert. Anders als die zermürbenden, fruchtlosen Auseinandersetzungen, von denen viele Eltern berichten. So zum Beispiel meine Freundin R., deren Sohn im Homeschooling ohne vorherige Bearbeitung des Themas Sklaverei/ Rassismus das gewaltvolle Gedicht Heinrich Heines, “das Sklavenschiff”, auswendig lernen und vortragen sollte. Trotz mehrfacher Gespräche mit der Lehrerin/ Schulleitung, wurde er beim wiedereinsetzen des Präsenzunterricht von selbiger Lehrerin aufgefordert das Gedicht vorzulesen.
Unseren Kindern ein zeitgemässes, realistisches und dekoloniales Bild der Welt zu vermitteln darf nicht Privatsache werden, oder von einzelnen Akteuren abhängig sein. Die Schule und folglich auch die Politik, muss hier ihrer Verantwortung gerecht werden, das Lehrmaterial muss entsprechend ausgesucht werden. Die Vielfalt der Gesellschaft muss dargestellt werden, stereotype, rassistische Darstellungen gehören nicht in die Schule. Wir leben im Jahre 2021, und das muss sich auch im Lehrmaterial widerspiegeln.